Das Urlaubsrecht ist in den letzten Jahren, insbesondere auch durch den starken Einfluss der europarechtlichen Vorgaben und den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), vermehrt in den Fokus geraten und einem Wandel unterworfen worden. So hatte beispielsweise der EuGH Ende 2018 entschieden, dass Urlaubsansprüche nicht ohne weiteres am Jahresende bzw. am 31. März des Folgejahres verfallen.
Nach § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) muss der Urlaub grundsätzlich im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung in das 1. Quartal des Folgejahres ist nur aus dringenden betrieblichen oder in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen statthaft. Der Urlaubsanspruch erlischt laut EuGH allerdings nur, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage war, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Dies sei aber nur dann anzunehmen, wenn der Arbeitgeber den Mitarbeiter rechtzeitig aufgefordert habe, seinen Jahresurlaub zu nehmen und darauf hingewiesen habe, dass ansonsten der Urlaubsanspruch verfallen werde (EuGH 06.11.2018 - C-619/16 und C-684/16; siehe dazu auch unseren News Beitrag vom 27.12.2018). Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat die Rechtsprechung des EuGHs mit zwei Urteilen vom 19.02.2019 (Az.: 9 AZR 423/16 und 9 AZR 541/15) umgesetzt.
Seit diesen Entscheidungen kann Arbeitgebern nur empfohlen werden, rechtzeitig in jedem Kalenderjahr eine schriftliche Mitteilung an alle Arbeitnehmer zu verteilen, mit der sie ausdrücklich aufgefordert werden, ihren Urlaub innerhalb des Kalenderjahres (bzw. eines ggf. tariflich oder arbeitsvertraglich vorgesehenen Übertragungszeitraum) in Anspruch zu nehmen, verbunden mit dem Hinweis, dass der Urlaubsanspruch ansonsten verfallen wird.
Aber welche Verpflichtungen treffen den Arbeitgeber für den Fall, dass der Arbeitnehmer den Urlaub aus gesundheitlichen Gründen nicht nehmen konnte? Ist der Arbeitgeber auch in solchen Fällen verpflichtet den Arbeitnehmer auf den Verfall des Urlaubs hinzuweisen? Zu dieser Thematik hat das BAG am 07.07.2020 dem EuGH nunmehr zwei Fälle zur Vorabentscheidung vorgelegt (Az.: 9 AZR 245/19 und 9 AZR 401/19). In einem der Verfahren ist die Klägerin seit einer Erkrankung im Jahr 2017 durchgehend arbeitsunfähig, 14 Urlaubstage hatte sie in diesem Jahr noch nicht in Anspruch genommen. In dem anderen Verfahren ist der Kläger als schwerbehinderte Person anerkannt und bezieht eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Dieser macht geltend, dass ihm noch 34 Urlaubstage aus dem Jahr 2014 zustehen würden. In beiden Fällen hatte der Arbeitgeber nicht darauf hingewiesen, dass der nicht genommene Urlaub verfallen könnte.
Nach Auffassung des BAG verfallen nicht genommene Urlaubstage bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres (BAG 07.08.2012 - 9 AZR 353/10; im Anschluss an EuGH 22.11.2011 - C-214/10). Für die Entscheidung der beiden anhängigen Rechtsstreitigkeiten bedarf es nunmehr einer Klärung durch den EuGH. Es stellt sich die Frage, ob das Unionsrecht den Verfall des Urlaubsanspruchs nach Ablauf dieser 15-Monatsfrist oder ggf. einer längeren Frist auch dann gestattet, wenn der Arbeitgeber seiner Mitwirkungsobliegenheit, somit seiner Hinweispflicht, nicht nachgekommen ist, obwohl der Arbeitnehmer den Urlaub im Urlaubsjahr bis zum Zeitpunkt des Eintritts der vollen Erwerbsminderung bzw. Arbeitsunfähigkeit zumindest teilweise hätte nehmen können.
Bisher war zumindest anzunehmen, dass die Geltendmachung von Urlaubsansprüche unter Bezugnahme auf den fehlenden Hinweis eines drohenden Verfalls der Ansprüche durch den Arbeitgeber nicht zeitlich unbegrenzt möglich ist und zumindest die 15-Monatsgrenze gilt. Dies könnte sich durch eine Entscheidung des EuGHs nun ändern. Es bleibt somit erst einmal abzuwarten, wie der EuGH zu dieser Frage Stellung bezieht. Für die Praxis bedeutet dies einmal mehr die Bedeutung der Vertragsgestaltung im Urlaubsrecht verstärkt ins Blickfeld zu nehmen. Die Rechtsprechung des EuGHs ist im Grundsatz lediglich auf den gesetzlichen Mindesturlaub und einen eventuellen gesetzlichen Zusatzurlaub für schwerbehinderte Arbeitnehmer anzuwenden. Für den vertraglich gewährten Mehrurlaub können abweichende Vereinbarungen auch zuungunsten des Arbeitnehmers getroffen werden. Dies bedarf aber einer ausdrücklichen Klausel im Arbeitsvertrag. In einer solchen Klausel könnte zum Beispiel geregelt werden, dass der vertragliche Mehrurlaub ohne weitere Voraussetzungen am Ende des Kalenderjahres erlischt, was somit zwingend zum Verfall des Anspruchs führt, auch wenn ein entsprechender Hinweis des Arbeitgebers auf den Verfall des Urlaubs ausgeblieben ist.
Über den Verlauf dieser Verfahren und insbesondere über die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs werden wir Sie selbstverständlich unterrichtet halten. Für Rückfragen bzgl. der Vertragsgestaltung bzw. der Erfüllung der Hinweispflichten stehen wir gerne zur Verfügung.