Der neuartige Coronavirus (SARS-CoV-2) hat Deutschland mit einer Wucht erfasst, mit der vor einigen Wochen noch nicht zu rechnen war. Die Anzahl der bestätigten COVID-19-Fälle steigt von Tag zu Tag an. Die staatlichen Maßnahmen, die zur Eindämmung einer Ausbreitung des Virus ergriffen werden, sind drastisch. Nachdem seit Anfang dieser Woche in fast allen Bundesländern Schulen, Kindergärten und Kindertagesstätten geschlossen sind, folgte nun die Schließung aller Kultur- und Bildungseinrichtungen, Schwimmbädern, Kinos, etc.. Das öffentliche Leben wird – soweit möglich – zum Erliegen gebracht. Die Maßnahmen betreffen nicht nur jeden einzelnen von uns in der privaten Lebensführung, sondern ganz massiv auch die Unternehmen. Im Folgenden fassen wir die Antworten auf die wichtigsten Fragen aus arbeitsrechtlicher Sicht kurz zusammen.
I. Abwesenheit von Mitarbeitern
Durch die Auswirkungen der Corona-Krise fallen in den Betrieben viele Beschäftigte aus unterschiedlichen Gründen aus. Die Folgen für die Vergütung sind unterschiedlich:
1. Erkrankung
Ist ein Arbeitnehmer an COVID-19 erkrankt, steht ihm – wie bei jeder krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit – ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung für sechs Wochen zu (§ 3 Abs. 1 EFZG). Die Arbeitsunfähigkeit ist dem Arbeitgeber unverzüglich mitzuteilen und anschließend durch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachzuweisen (§ 5 Abs. 1 EFZG). Bei Erkrankungen der oberen Atemwege kann derzeit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für maximal sieben Tage auch nach telefonischer Rücksprache mit dem Arzt – also ohne persönlichen Arztbesuch – ausgestellt werden. Dies haben die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der GKV-Spitzenverband am 09.03.2020 festgelegt.
Im Fall der Erkrankung eines Kindes steht dem gesetzlich versicherten Arbeitnehmer grundsätzlich ein Anspruch auf Krankengeld gegenüber der Krankenkasse zu, wenn das Kind das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat und eine Betreuung durch andere im Haushalt lebende Personen nicht möglich ist. Der Anspruch auf Krankengeld besteht pro Kalenderjahr und Kind für zehn Arbeitstage, für Alleinerziehende 20 Tage, insgesamt aber nicht mehr als 50 Arbeitstage im Kalenderjahr. Der Anspruch auf Krankengeld ist jedoch ausgeschlossen, soweit der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber einen Vergütungsanspruch aus § 616 BGB (persönliche Leistungsverhinderung für einen nicht erheblichen Zeitraum) hat. Sofern im Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag keine abweichenden Regelungen getroffen sind, kann die Krankenkasse den Arbeitnehmer also auf seine Ansprüche gegen den Arbeitgeber verweisen.
2. Quarantäne/Tätigkeitsverbot
Ist ein Arbeitnehmer nicht erkrankt, besteht aber ein besonderes Ansteckungsrisiko (z.B. weil er sich in einem Risikogebiet aufgehalten hat oder Kontakt mit einer infizierten Person hatte), kann das Gesundheitsamt auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) eine Quarantäne oder ein berufliches Tätigkeitsverbot aussprechen. Auch in diesem Fall steht dem Arbeitnehmer für eine gewisse Zeit ein Anspruch auf Vergütungsfortzahlung nach § 616 BGB gegen den Arbeitgeber zu, soweit nicht durch Tarifvertrag oder Arbeitsvertrag eine abweichende Regelung getroffen ist. Die Vergütungsfortzahlung ist nur bei einer Verhinderung für unerhebliche Zeiträume gegeben; der BGH (30.11.1978 – III ZR 43/77) hält insoweit – in Anlehnung an die Entgeltfortzahlung bei Krankheit – einen Zeitraum für sechs Wochen im Regelfall noch für unerheblich. Dauert die Quarantäne oder das Tätigkeitsverbot länger, kann der Arbeitnehmer jedoch schon ab dem ersten Tag keine Fortzahlung der Vergütung vom Arbeitgeber verlangen.
Der Verdienstausfall aufgrund einer Quarantäne oder eines Tätigkeitsverbots ist vom Gesundheitsamt zu erstatten (§ 56 IfSG). Bei Arbeitnehmern hat der Arbeitgeber die Vergütung in den ersten sechs Wochen auszuzahlen und kann die entsprechende Entschädigung beim Gesundheitsamt beantragen, ab der siebten Woche hat sich der Arbeitnehmer direkt an das Gesundheitsamt zu wenden. Problematisch ist jedoch, dass der Arbeitnehmer nach Ansicht des BGH keinen Verdienstausfall hat, solange der Arbeitgeber die Vergütung nach § 616 BGB zu bezahlen hat. Dieser Vergütungsanspruch gehe dem Entschädigungsanspruch nach dem IfSG vor (BGH 30.11.1978 - III ZR 43/77). Dies würde bedeuten, dass in der Regel der Arbeitgeber für die ersten sechs Wochen auf den Kosten sitzen bleiben würde. Es gibt aber vorsichtige Signale aus den Gesundheitsämtern, dass die Entschädigungen nicht von der vorrangigen Prüfung von Ansprüchen nach § 616 BGB abhängig gemacht werden sollen.
Selbständige Dienstleister und freie Mitarbeiter müssen den Verdienstausfall selbst gegenüber dem Gesundheitsamt geltend machen. Der Auftraggeber ist hier nicht in die Abwicklung einbezogen.
3. Kinderbetreuung
Seit dieser Woche sind in allen Bundesländern Schulen, Kindergärten und Kindertagesstätten geschlossen. Viele Mitarbeiter können deshalb nicht zur Arbeit erscheinen, da sie die Betreuung ihrer Kinder sicherstellen müssen. Besteht keine andere Betreuungsmöglichkeit, darf der Arbeitnehmer der Arbeit fernbleiben, um seiner elterlichen Sorgepflicht nachzukommen. Voraussetzung ist aber eine „unverschuldete Zwangslage“ (BAG 21.05.1992 – 2 AZR 10/92). Der Arbeitnehmer muss alle Möglichkeiten geprüft haben, eine anderweitige Betreuung (sei es durch das andere Elternteil oder durch Dritte) zu ermöglichen. Dabei wird die Betreuung durch Großeltern in der Regel keine zumutbare Alternative sein, da ältere Menschen als Risikogruppe für COVID-19 gelten. Der Arbeitnehmer wird im Übrigen nicht einfach der Arbeit fernbleiben können, sondern das Gespräch mit dem Arbeitgeber zu suchen haben, um Möglichkeiten wie z.B. Arbeit im Home-Office zu erörtern. Besteht keine andere Betreuungsmöglichkeit, behält der Arbeitnehmer auch seinen Vergütungsanspruch, sofern es um einen „nicht unerheblichen Zeitraum“ geht (§ 616 BGB). Streitig ist, ob dies einen Zeitraum von 2-3 Tagen, 5 Tagen oder auch 10 Tagen abdeckt. Anschließend wird der Arbeitnehmer aber keine andere Möglichkeit haben, als bezahlten Urlaub zu nehmen oder sich mit dem Arbeitgeber auf unbezahlten Urlaub zu verständigen. Eine staatliche Entschädigung („Corona-Elterngeld“), die Eltern in solchen Fällen bei Schul- und Kindergartenschließungen gezahlt würde, scheint aus heutiger Sicht nicht zu erwarten zu sein.
4. Eigenmächtiges Fernbleiben
Bleibt der Arbeitnehmer eigenmächtig der Arbeit fern, etwa weil er ein Ansteckungsrisiko im Betrieb fürchtet, steht ihm kein Vergütungsanspruch zu. Außerdem kann der Arbeitgeber eine Abmahnung, ggf. auch eine Kündigung wegen Arbeitsverweigerung aussprechen. Ein Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitnehmers kann aber bestehen, wenn eine konkrete Ansteckungsgefahr besteht und Schutzmaßnahmen des Arbeitgebers ausbleiben.
II. Fehlende Beschäftigungsmöglichkeiten
Viele Unternehmen haben inzwischen keine Möglichkeit mehr, ihre Mitarbeiter einzusetzen, z.B. weil die Nachfrage weitgehend weggebrochen ist, der Betrieb geschlossen wurde oder weil – etwa in der Produktion – Lieferketten unterbrochen sind.
1. Betriebsurlaub
Eine Reaktionsmöglichkeit ist die Anordnung von Betriebsurlaub. Der Arbeitgeber ist grundsätzlich berechtigt Betriebsurlaub anzuordnen und die Arbeitnehmer – auch gegen ihren Willen – in Urlaub zu schicken. Voraussetzung ist, dass den Arbeitnehmern ein Urlaubsanspruch in Höhe von etwa 2/5 ihres jährlichen Urlaubs zur eigenen Verfügung verbleibt (BAG 28.07.1981 – 1 ABR 79/79); bei einem Urlaubsanspruch von 30 Tagen jährlich können also maximal 18 Tage für Betriebsurlaub verwendet werden. Besteht ein Betriebsrat, ist der Betriebsurlaub mitbestimmungspflichtig. Es empfiehlt sich der Abschluss einer Betriebsvereinbarung über den Betriebsurlaub.
2. Überstundenabbau/Zeitkonten
Inwieweit die Mitarbeiter zum Abbau bestehender Überstundenguthaben oder von Plusstunden auf einem Arbeitszeitkonto verpflichtet werden können, hängt maßgeblich von den jeweiligen betrieblichen Regelungen ab. Im Grundsatz ist der Arbeitgeber berechtigt, Mitarbeiter zum Abbau eines Überstundenguthabens freizustellen. Ebenso kann im Rahmen des Weisungsrechts der Abbau von Guthaben auf einem Arbeitszeitkonto angeordnet werden. Dies ist aber dann nicht der Fall, wenn eine Betriebsvereinbarung in einem bestimmten Rahmen eine eigenverantwortliche Einteilung der Arbeitszeit durch den Arbeitnehmer vorsieht.
3. Betriebsschließung
Entscheidet sich der Arbeitgeber den Betrieb zu schließen, bleibt er im Regelfall zur Vergütungszahlung gegenüber seinen Mitarbeitern verpflichtet. Nach § 615 BGB ist die Vergütung nicht nur im Fall des Annahmeverzugs zu bezahlen, wenn also der Arbeitgeber die angebotene Arbeitsleistung nicht entgegennimmt; vielmehr trägt der Arbeitgeber auch das sog. Betriebsrisiko (§ 615 S. 3 BGB). Schließt der Arbeitgeber den Betrieb vorübergehend, weil keine Nachfrage vorhanden ist, wird er daher die Vergütung in der Regel weiter bezahlen müssen. Ungeklärt ist, ob die Auswirkungen des Coronavirus – ähnlich wie Krieg oder ein Terroranschlag – anders zu behandeln sein können, weil es sich gerade nicht um das eigene Betriebsrisiko des Arbeitgebers, sondern um „höhere Gewalt“ handelt.
Erfolgt die Betriebsschließung nicht aus eigenem Entschluss des Arbeitgebers, sondern durch eine behördliche Entscheidung, kommen Entschädigungsansprüche nach dem Infektionsschutzgesetz in Betracht (s.o. I.2.).
4. Kurzarbeit
Arbeitsausfälle, die auf den Auswirkungen der Coronakrise beruhen (auch z.B. im Fall einer behördlichen Betriebsschließung), sind grundsätzlich geeignet, die Gewährung von Kurzarbeitergeld durch die Arbeitsagenturen zu rechtfertigen. Die Kurzarbeit wird aktuell in verschiedener Hinsicht erleichtert. Zum einen ist es zukünftig ausreichend, wenn 10 % der Beschäftigten eines Betriebs (bislang: ein Drittel) von dem Arbeitsausfall betroffen sind, der mindestens 10 % ihrer Vergütung ausmacht. Zum anderen werden zur Unterstützung der betroffenen Unternehmen die Sozialversicherungsbeiträge, die für die ausgefallene Arbeitszeit zu entrichten sind, vollständig von der Arbeitsagentur erstattet. Außerdem kann Kurzarbeitergeld jetzt auch für Leiharbeitnehmer in Anspruch genommen werden.
Zur Einführung der Kurzarbeit bedarf es einer Betriebsvereinbarung oder – insbesondere wenn ein Betriebsrat nicht besteht – einer entsprechenden Vereinbarung mit den betroffenen Arbeitnehmern. Von Vorteil ist es, wenn die Arbeitsverträge bereits generell das Einverständnis der Arbeitnehmer mit der Einführung von Kurzarbeit vorsehen; fehlt eine solche Klausel im Arbeitsvertrag, muss die vorübergehende Reduzierung der Arbeitszeit zum Zwecke der Kurzarbeit im Einzelfall mit den Arbeitnehmern vereinbart werden.
III. Maßnahmen des Gesundheitsschutzes
Arbeitgeber haben aufgrund ihrer Fürsorgepflicht (vgl. § 618 BGB) die erforderlichen Maßnahmen zum Gesundheitsschutz der Mitarbeiter zu treffen. Dabei ist insbesondere an Folgendes zu denken:
1. Home-Office
Um Ansteckungsgefahren zu reduzieren, bietet sich die Arbeit im Home-Office an, wenn die Art der Arbeitsleistung dies zulässt. Inwieweit Mitarbeiter ins Home-Office geschickt werden können, hängt maßgeblich von den bestehenden betrieblichen Regelungen ab. Soweit ein Anspruch auf Home-Office nicht durch Betriebsvereinbarung begründet ist, kann der Arbeitnehmer grundsätzlich nicht verlangen, von zu Hause aus arbeiten zu dürfen – auch wenn dies derzeit in vielen Fällen sinnvoll sein wird. Besteht die technische Möglichkeit der Arbeit von zu Hause und kann der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung anders nicht erbringen, wird der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auch gegen dessen Willen ins Home-Office schicken können. Dabei sind im Einzelfall die beiderseitigen Interessen abzuwägen (§ 106 GewO). Vor allem bei Arbeitnehmern, die – etwa aufgrund von Vorerkrankungen oder wegen ihres Alters – einer Risikogruppe zuzuordnen sind, wird die Tätigkeit von zu Hause naheliegen.
2. Weitere Maßnahmen
Im Rahmen des Gesundheitsschutzes steht die Aufklärung der Mitarbeiter an erster Stelle. Dazu gehören Hinweise zu Übertragungswegen und zur Vermeidung von Ansteckungsrisiken. Hygieneempfehlungen (z.B. zum richtigen Händewaschen, zur Vermeidung der Begrüßung per Handschlag oder auch zur „Husten- und Niesetikette“) können hilfreich sein. Außerdem können die Mitarbeiter – entweder flächendeckend oder zumindest bei entsprechenden Anhaltspunkten – zu einer schriftlichen Erklärung aufgefordert werden, ob sie sich in den vergangenen 14 Tagen in einem Risikogebiet aufgehalten haben, ob sie Kontakt mit einem COVID-19-Patienten hatten oder ob gegen sie eine Quarantäne oder ein Tätigkeitsverbot ausgesprochen wurde. Mitarbeiter, bei denen der Verdacht einer Infektion besteht, sollten unverzüglich freigestellt oder ins Home-Office geschickt werden. Dienstreisen werden nur noch in seltenen Ausnahmefällen angeordnet werden können, wenn diese unvermeidbar sind. In der Regel werden statt persönlichen Besprechungen mit mehreren Personen Telefon- oder Videokonferenzen vorzuziehen sein.
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