Bei der Wiedereröffnung von Betrieben, die im Zusammenhang mit den Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie vorübergehend geschlossen waren, können unterschiedliche Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats zu beachten sein. Die Probleme, die der Arbeitgeber dabei im Blick haben sollte, werden aus einer aktuellen Entscheidung des ArbG Hamm (04.05.2020 – 2 BVGa 2/20) deutlich.
Die Arbeitgeberin, ein Bekleidungsunternehmen, betreibt einen Einzelhandelsbetrieb in einem Einkaufszentrum. Im Zuge der coronabedingten Einschränkungen wurde eine Betriebsvereinbarung über Kurzarbeit abgeschlossen. Nach dieser Vereinbarung sollte der Betrieb bis zum 31.05.2020 geschlossen sein, alle Arbeitnehmer in Kurzarbeit gehen und von der Arbeitgeberin eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes erhalten. Am 22.04.2020 teilte die Arbeitgeberin dem Betriebsrat mit, dass die Filiale bereits ab dem 28.04.2020 wieder geöffnet werden solle. Eine Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat über den Einsatz der Mitarbeiter ab diesem Zeitpunkt kam jedoch nicht zustande. Die Mitarbeiter wurden ab dem 28.04.2020 wieder beschäftigt. Auf Antrag des Betriebsrats erließ das ArbG Hamm eine einstweilige Verfügung; dem Arbeitgeber wurde unter Androhung eines Ordnungsgeldes verboten, Arbeitnehmer ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrats über deren Einsatz zu beschäftigen.
Das Arbeitsgericht verweist zum einen auf die Betriebsvereinbarung zur Kurzarbeit. Nach deren Regelungen dürften Mitarbeiter nur mit Zustimmung des Betriebsrats beschäftigt werden. Dem Betriebsrat stehe ein Anspruch auf Durchführung der Betriebsvereinbarung zu. Der Einsatzplan der Arbeitgeberin verstoße gegen diese Betriebsvereinbarung. Außerdem steht dem Betriebsrat ein gesetzliches Mitbestimmungsrecht in Bezug auf Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage zu (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG), das die konkrete Ausgestaltung der Dienst- und Einsatzpläne umfasst. Da die Arbeitgeberin Mitarbeitern Arbeitszeiten zugewiesen habe, ohne zuvor die Zustimmung des Betriebsrats eingeholt zu haben, sah das Arbeitsgericht auch insoweit einen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats als gegeben an.
Der Betriebsrat hatte darüber hinaus beantragt den Betrieb zu schließen, bis zwischen den Betriebsparteien eine Vereinbarung über Arbeitsschutzstandards zustande gekommen sei. Er verwies auf den „SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard“, den der Bundesminister für Arbeit und Soziales am 16.04.2020 veröffentlicht hatte. Dort heißt es u.a.:
„Die Verantwortung für die Umsetzung notwendiger Infektionsschutzmaßnahmen trägt der Arbeitgeber entsprechend dem Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung. Der Arbeitgeber hat sich [...] mit den betrieblichen Interessenvertretungen abzustimmen.“
Das Arbeitsgericht sieht in diesem Arbeitsschutzstandard keine Regelung des Gesundheitsschutzes im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG; es handle sich weder um eine gesetzliche Vorschrift noch eine Rechtsverordnung, sondern lediglich eine „Handlungsempfehlung“ des Arbeitsministers. Selbst wenn man dies anders sehen und den Arbeitgeber zum Abschluss von Regelungen mit dem Betriebsrat zum Gesundheitsschutz nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG verpflichtet sehen würde, könne – so das Arbeitsgericht – der Arbeitgeber nicht gezwungen werden, den Betrieb zu schließen, bis eine Einigung zu Gesundheits- und Infektionsschutzmaßnahmen mit dem Betriebsrat getroffen sei. Für eine solche Betriebsschließung gebe die Mitbestimmung beim Gesundheitsschutz keine Rechtsgrundlage.
Unabhängig davon sollten Arbeitgeber selbstverständlich ein umfassendes und durchdachtes Konzept zum Gesundheits- und Infektionsschutz haben, dessen Ausgestaltung der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt und deshalb mit dem Betriebsrat vereinbart werden muss. Ob eine vorzeitige Beendigung der Kurzarbeit ohne Zustimmung des Betriebsrats zulässig ist, richtet sich nach den Regelungen der jeweiligen Betriebsvereinbarung, die einen entsprechenden Vorbehalt enthalten sollte. Sind die Arbeitszeiten der Mitarbeiter nicht verbindlich geregelt, sondern bedürfen einer Festlegung durch Dienst- oder Einsatzpläne, bedarf jedenfalls die Dienstplangestaltung der Zustimmung des Betriebsrats im Einzelfall; ggf. ist ein Einigungsstellenverfahren erforderlich.